Wellen krachen mit grosser Wucht an die Steuerbordseite der Fähre. Wasser spritzt über die Reling, klatscht an die geschlossenen Fenster. Wind peitscht uns durch die offenen Luken entgegen. Unser Kahn kämpft in langsamem Tempo gegen die Wellen, schaukelt von einer Seite auf die andere und gleitet sanft über diese hinweg. Umgeben von Wasser sehen wir in weiter Ferne bereits unser Ziel, eine Insel inmitten des grossen Teichs. Wir fühlen uns schon fast wie auf einer Reise übers offene Meer. Nur, dass wir uns weder in offenem Gewässer noch in der Nähe von Salzwasser befinden. Der Lago de Nicaragua allerdings ist derart gross, dass man leicht das Gefühl hat sich auf dem schier endlos wirkenden Ozean zu befinden. Der grösste See Mittelamerikas, bietet einen ökologisch wichtigen Lebensraum für verschiedenste Tierarten und umgibt gleichzeitig die bekannte Isla de Ometepe, die mit ihren zwei mächtigen Vulkanen aus dem See emporragt.
Die Isla de Ometepe ist vor allem ihrer zwei Wahrzeichen wegen bekannt. Nicht nur verdankt die Insel den beiden Vulkanen Concepción und Maderas ihren Namen (Ome = zwei, tepetl = Berg, Hügel) auch zieht das markante Aussehen gepaart mit der einzigartigen Vegetation Reisende von überall her an. Denn anders als auf dem Festland scheint auf der Insel alles etwas grüner. Einheimische Früchte gedeihen noch etwas besser, zudem wachsen hier Bananen, Kaffeebohnen, Reis, Baumwolle, Tabak, Mais und noch vieles mehr. Die Menschen auf der Insel, die auf ihren Fincas zusätzlich meist Viehzucht betreiben, leben dadurch so gut wie autark. Eine kleine Oase inmitten des wuseligen Nicaraguas, fernab von grossen Städten und somit weit weg von Gewalt und Chaos. Für uns wohl genau das, was wir zurzeit gebrauchen können. Entsprechend motiviert treten wir auch die Reise auf die Insel an und freuen uns auf das etwas andere Inselleben, welches tatsächlich zu einem Highlight unserer Reise durch Nicaragua werden soll.
Windig und rauh, zwei Eigenschaften die ohne Frage auf die Vegetation rund um den Lago de Nicaragua zutreffen. Ich müsste lügen, würde ich behaupten, die Fahrt über den See war pure Entspannung, denn in der Tat fühlt es sich an wie auf rauher See. Der Anblick der Insel jedoch, kaum haben wir das Boot verlassen, lässt die kleine Tortur über den See schnell vergessen. Schon von weitem sind sie zu sehen, die beiden Vulkane, von denen der eine etwas dramatischer aus dem Lago de Nicaragua in die Höhe schiesst.

Volcán Concepción
Ausbrüche beider Vulkane haben dazu geführt, dass die ursprünglich zwei Inseln einst durch die Lavaströme zu einer einzigen Insel zusammengewachsen sind. Erleben lässt sich auf dem über 19 Km breiten Eiland so einiges. Die Vulkane laden einen geradezu ein erklommen zu werden, nur müssen wir eingestehen, lässt unsere Wanderlust seit einigen Wochen etwas zu wünschen übrig. Die Vulkane lassen wir daher links liegen, resp. entscheiden uns stattdessen diese etwas intensiver von unten aus, dafür aus jedem erdenklichen Winkel zu begutachten. Inseltour ist angesagt! Und was bietet sich dafür am besten an? Genau ein Motorrad. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, welch Glücksgefühl uns durchfährt, als Dominique den Schlüssel dreht, den Motor startet, ich mich auf den Sozius schwinge um im selbigen Moment das atemberaubende Gefühl von Freiheit zu spüren. Endlich! 🙂
Die ersten Nächte auf der Insel verbringen wir im Städtchen Moyogalpa, dort wo die Fähre anlegt. Von hier aus mieten wir das Motorrad gleich für die gesamte Zeit auf der Insel und freuen uns über die wiedergewonnene „Reisefreiheit“. „Lass uns schnell hier abbiegen um einen Blick auf die versteckte Bucht zu werfen“, Sätze die sonst nur selten zu hören sind, ist die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln doch immer etwas beschwerlicher, mit viel Aufwand und Zeit verbunden. Nun aber können wir fahren wohin wir wollen. Tatsächlich spüren wir die Freude nach den letzten anstrengenden, emotional intensiven Wochen wieder in uns aufflackern. Mit grosser Motivation, Tatendrang und Neugierde erkunden wir die Insel rund um den Vulkan Concepción. Nur ein kleiner Teil der Insel ist mit einer befestigten Strasse ausgestattet, die restlichen Wege führen über Schotterpisten, über Stock und Stein mitten durch die Wildnis der Insel.
Obwohl wir keine grossen Pläne geschmiedet haben, uns einfach treiben lassen wollen, gibt es viel zu entdecken. Die Reise führt uns vorbei an kleinen Dörfern, wilden Schweinen, gackernden Hühnern, über holprige, staubige Strassen. Der schön geformte Vulkan Concepción immer zu unserer Linken setzt sich derweil während der gesamten Fahrt perfekt in Szene.
Wir geniessens in vollen Zügen, spüren den angenehmen Fahrtwind. Nichts scheint uns aufzuhalten… ausser vielleicht der ein oder andere Bauer, der hoch auf seinem Pferd eine Herde Kühe an uns vorbeitreibt. Denn sobald eine Herde riesiger Kühe an uns vorbei trottet, halten auch wir gerne an, lassen die mächtigen Stiere unmittelbar neben uns passieren gefolgt von den nur wenig kleineren Kühen.
Aber nicht nur Vulkane hat die Insel zu bieten, umgeben von Wasser findet man auch diverse kleinere Strandabschnitte. Im Süden der Insel schliesslich geniessen wir die letzten Stunden des Tages am Strand sitzend, während der Concepción erst von einer Wolkenhaube bedeckt wird und anschliessend, je später der Tag wird, in den verschiedensten Rottönen aufleuchtet.
Die weiteren Tage auf der Insel schliesslich verbringen wir auf der gegenüberliegenden Seite, am Fusse des Vulkans Maderas im kleinen Dörfchen Balgue. Noch viel ursprünglicher gestaltet sich das Leben hier fernab von Verkehr, wuseligen Städten und Lärm. Unser temporäres Zuhause mit Blick direkt auf den Vulkan Maderas lässt unsere Uhren noch etwas langsamer ticken, denn manchmal gibt es wahrhaftig nichts schöneres als sich an der Schönheit und Ruhe der Natur zu ergötzen. Gemächlich umrunden wir nichtsdestotrotz auch den Vulkan Maderas. Geniessen die Freiheit in vollen Zügen und erkunden die versteckten Ecken der Insel.

Easyrider on tour…
Auf der anderen Seite der Insel lassen wir die Abende am langgezogenen Strandabschnitt im Osten der Insel schliesslich ausklingen. Dort wo vor uns die Sonne auf dem Wasser glitzert, zu unserer Linken der Vulkan Concepción stolz posiert, und der Vulkan Maderas zu unserer Rechten in seinem grünen Gewand strahlt, sitzen wir Abend für Abend, während die Sonne sich ihren Weg in Richtung Horizont bahnt. „Wilde“ Pferde durchkreuzen unser Blickfeld und machen das Bild perfekt. Auf der anderen Seite versuchen Einheimische den Fussball ins improvisierte gegnerische Tor zu schiessen, während hinter uns die Sonne den See küsst. Es sind genau diese Momente, die uns in den letzten Tagen gefehlt haben. Momente voller Ruhe, Frieden und unaufgeregter Schönheit.
Alles scheint perfekt. Wir fühlen uns weitab von der herrschenden Gewalt im Land. Haben eine kleine Oase gefunden, wo sich tatsächlich weiterhin das einfache, normale Leben abzuspielen scheint. Und dennoch ist die aktuelle Gewalt im Land auch hier nicht zu übersehen. Obwohl die Insel bislang von Gewalt verschont geblieben ist, protestieren auch hier die Menschen, zeigen ihre Wut auf den Präsidenten, auf die Politik und vor allem auf die Art und Weise wie ein ganzes Volk zu unterdrücken versucht wird.
Nach knapp einer Woche sind unsere Batterien fast gänzlich wieder gefüllt. Wir fühlen uns gestärkt und motiviert für die weiteren Etappen unserer Reise. Und so verlassen wir die Insel, wenn auch tatsächlich etwas ungern nach knapp einer Woche wieder. Obwohl erst etwas unsicher über den Entscheid, machen wir noch einen letzten Stopp, bevor wir Nicaragua definitiv hinter uns lassen. San Juan del Sur, ganz im Südwesten des Landes gelegen, bietet nochmals Surf, Sun und Fun. Obwohl als Partymekka bekannt und somit eher weniger auf unser Wunschliste, erleben wir entspannte, angenehme letzte Tage in Nicaragua. Bereits unser Hostel, hoch über der Bucht von San Juan del Sur, etwas abseits vom grössten Rummel gefällt und ladet geradezu ein die Seele baumeln zu lassen.

Blick auf die Bucht von San Juan del Sur
Da wir unsere Unternehmungslust zumindest halbwegs wiedergefunden haben, starten wir einen weiteren Versuch unser Surfkönnen aufzubessern. Playa Maderas, Playa El Remanzo, Playa Hermosa, Playa El Yanke – San Juan del Sur ist von unzähligen Surfstränden umgeben. Und da wir unsere wiedergewonnene Freiheit nur ungerne zurückgeben, schnappen wir uns kurzerhand das Moped unseres netten Hostelbesitzers Baba und cruisen von einem Strand zum anderen um jede einzelne Welle zu reiten.
Glücklicherweise ist die Lage im Küstenstädtchen entspannt und ruhig. Die Tage plätschern auch hier dahin und wir geniessen die Tage am Strand. Denn obwohl Party- und Surfmekka ist San Juan del Sur erstaunlich ruhig. Tatsächlich haben wir uns die Feierlichkeiten weitaus krasser vorgestellt. Gut für uns, nur ist leider unübersehbar welch Auswirkungen politische Unruhen in einem Land anrichten können. Unzählige Touristen haben das Land aufgrund der Vorkommnisse frühzeitig verlassen, Einbruch der Tourismusindustrie ist das Ergebnis. Arbeitsverhältnisse werden gekündigt, Einkommen und gleichzeitig Existenzsicherung geht für viele Menschen verloren. Wir für unseren Teil versuchen immerhin etwas zurückzugeben, indem wir bleiben, konsumieren und geniessen. Dinge, die wir äusserst gut können. 😉 Passenderweise flattert einmal mehr zur richtigen Zeit eine weitere Spende ins Haus. Und so dürfen wir uns für einmal einen feinen Lobster sowie einen leckeren Snapper mit Reis und Salat schmecken lassen. Ein wahrer Festschmaus.
Vielen lieben Dank Mama & Köbi! 🙂
Damit aber noch nicht genug. Denn wie der Zufall es will, treffen wir in San Juan del Sur auf zwei bekannte Gesichter. Schon auf der Insel Ometepe haben sich unsere mit den Wegen von Sindy und Lisa, zwei Mädels aus Deutschland, die allerdings schon seit langer Zeit in der Schweiz leben, rein zufällig gekreuzt. Bereits in San Pedro in der Community Spanish School haben wir uns zur gleichen Zeit mit der spanischen Sprache schwer getan, sind anschliessend unabhängig voneinander durch die Länder gezogen, um uns ein paar hundert Kilometer weiter südlich schliesslich rein zufällig wieder zu treffen. Und so nutzen wir die Gunst der Stunde und verbringen einen gemütlichen Abend zusammen und lassen uns das erwähnte Essen in netter Gesellschaft schmecken.
Es gleicht schliesslich tatsächlich fast einem Klassentreffen, als wir nämlich noch drei weitere „Mitstudenten“ aus unserer Zeit in San Pedro in San Juan del Sur treffen. Wahrhaftig können wir es kaum glauben, als sich Wochen nach unserer Schulzeit in San Pedro auch Louise, Dug und Jessica aus Australien rein zufällig zur gleichen Zeit in San Juan del Sur einfinden. Zu siebt verbringen wir schliesslich einen spannenden, aber vor allem lustigen letzten Abend in Nicaragua. 🙂

„Klassentreffen“ in San Juan del Sur
Ein schöner Abschluss, einer nicht immer ganz einfachen Reise durch ein Land, das auch trotz schöner Erlebnisse zwiespältige Gefühle in uns hinterlässt… Nicht im geringsten durften wir Nicaragua so erleben wie wir das wollten, mussten unsere Pläne ändern, und hatten tatsächlich mit Schwierigkeiten zu kämpfen, die uns nicht nur einmal an unsere Grenzen gebracht, uns letztendlich aber hoffentlich nur stärker gemacht haben.