Es hat uns erwischt. So richtig. War es die übermässige Vorfreude? Die viel zu hohen Erwartungen auf ein uns noch unbekanntes Land? Waren es die schwierigen, emotional anstrengenden Tage in Leon? Was es auch sein mag, eins ist klar, wir haben einen Durchhänger. Denn obwohl wir uns wieder sicherer fühlen, einen Ausweg aus Las Peñitas finden, fehlt die Freude, die Motivation und die Neugier aufs Neue. Wir, die das Reisen immer noch lieben, auch mit schwierigen Situationen letztendlich meist gut zurechtkommen, sind gefangen im Tief. Und trotzdem kommt dieser Durchhänger, der uns tatsächlich an unsere Grenzen bringt völlig unerwartet, sieht die Situation für uns nach den ersten schwierigen Tagen nun doch deutlich besser aus. Nur weshalb ist die Stimmung derart am Tiefpunkt angelangt? Versuchen wir’s von vorne…
Die Tage in Las Peñitas plätschern dahin, während wir unter Hochdruck versuchen Alternativpläne, Routen, Zwischenstopps usw. auszuarbeiten. Sollen wir Nicaragua direkt verlassen, eine Alternativroute ausarbeiten die uns zumindest noch einen kleinen Teil des Landes sehen lässt oder wie geplant weiter ziehen immer mit dem Risiko erneut in eine derartige Situation zu geraten? Wir überlegen hin und her, tun uns mit der Entscheidung schwer. Obwohl letzten Endes beide nur halbwegs mit dem Entscheid zufrieden sind, einigen wir uns auf den goldenen Mittelweg. Den ganzen Norden Nicaraguas, die wunderschöne Region rund um Miraflor sowie die indigene Region Indio Maiz im wenig erschlossenen Südosten des Landes lassen wir aufgrund der aktuellen politischen Situation links liegen. Auf direktem Wege begeben wir uns notgedrungen erneut auf den Gringo Trail, reisen einmal quer durchs Land und steuern unser nächstes Ziel, die Kolonialstadt Granada an.
Eine uns unbekannte Nervosität überkommt uns, während wir uns frühmorgens am Busbahnhof in Leon nach dem Bus nach Managua erkunden. Auch wenn wir die Hauptstadt und damit den grössten Brandherd des Landes gerne umgehen möchten, bleibt uns keine Wahl, denn alle Wege führen nach Managua. Angespannt beobachten wir das Geschehen auf der Strasse vom Bus aus. Es scheint ruhig zu sein, und trotzdem ist die Verwüstung vor allem in Managua selbst unverkennbar. An vereinzelten Ecken fahren Vermummte auf dem Fahrrad in die Stadt, Polizisten kontrollieren den Verkehr. Obschon das alltägliche Leben zumindest halbwegs wieder seinen gewohnten Gang zu gehen scheint, spüren wir eine gewisse Spannung in der Luft. An jeder Strassenecke werden nicaraguanische Fahnen verkauft. Transparente, besprayte Strassen und Mauern zeugen nach wie vor von den intensiven letzten Tagen. Wir fahren vorbei an den „Tree of Lifes“, welche die Menschen hier aus Hass gegen die Regierung „fällen“, nähern uns der UPOLI (Polytechnische Universität), dem Hauptort des Geschehens, dort wo alles begann und wo sich nach wie vor Studenten verbarrikadieren und gegen die Regierung protestieren. Der Busbahnhof befindet sich nur eine Strasse weiter, an der Hauptstrasse, wo bis zu diesem Zeitpunkt weit über 20 Menschen ihr Leben lassen mussten. Es fühlt sich surreal und unecht an. Wo vor wenigen Tagen Polizisten, politische Anhänger und deren Gegner gegeneinander mit scharfer Munition kämpften, ist nun wieder Ruhe eingekehrt. Eine eigenartige Ruhe wie wir finden, die Ruhe vor dem nächsten Sturm vielleicht? Was es auch sein mag, wir jedenfalls sind froh, als unser Bus das kleine Terminal schliesslich wieder verlässt, sich langsam vom Zentrum entfernt und die Hauptstadt mit Ziel Granada endgültig verlässt.
Granada, die Kolonialstadt Nicaraguas und kleine Schwester Antiguas in Guatemala verzückt mit ihrem farbenfrohen Kolonialstil. Sauber, aufgeräumt, mit Pferdekutschen, einladenden Restaurants, Bars und Pubs sowie einem nicht zu verachtenden Plaza Independencia begrüsst uns die Stadt. Nach Tagen der völligen Isolation sind wir froh wieder unter Menschen zu sein, das Stadtleben zu geniessen, nur irgendwie kommen wir hier nicht so richtig an. Auf eine bestimmte Art die ich nur schlecht beschreiben kann, passt Granada so überhaupt nicht nach Nicaragua. Der Tourismus boomt, schicke Gassen, teure Geschäfte und edle Restaurants verpassen uns fast mehr einen Dämpfer als dass sie uns begeistern. Nicaragua, das ärmste Land Zentralamerikas kämpft für seine Rechte in einem blutigen Bürgerkrieg, während in Granada die heile Welt gelebt wird. Vielleicht sind wir durch das Erlebte auch einfach ein bisschen kritischer, hinterfragen gewisse Dinge vielleicht ein bisschen mehr, nur macht es das ganze für uns nicht einfacher. Denn ich bin überzeugt, dass unser Resümee hier alles andere als objektiv ausfällt. Und trotzdem versuchen wir das Flair der Stadt vorurteilslos aufzusaugen. Vom Kirchturm der Iglesia de la Merced geniesst man einen einmaligen Blick über die Dächer Granadas bis ganz weit nach hinten wo am Horizont der Vulkan Masaya emporragt. Auch in den Gassen der Kolonialstadt, vor allem in der wuseligen Marktgasse finden wir letztendlich doch noch ein wenig Wohlgefallen.
Es scheint als komme alles zusammen. Denn obwohl schon lange in den heissen Gefilden unterwegs, vertragen wir die Hitze in der Stadt so gar nicht. Während wir schwitzend im Bett liegen, ist an Schlaf so gut wie nicht zu denken. Übermüdung, Unzufriedenheit, Enttäuschung, alles kommt zusammen. Die Stimmung sinkt. Auch die Unternehmungslust ist auf dem Tiefpunkt. So sitzen wir die Tage ab, hadern und diskutieren. Streiten heftig. Suchen nach Gründen für unsere Laune. Obwohl schon einige Tiefs erlebt, fühlt sich die Zeit in Granada schwieriger an als jede Hürde bisher. Und trotzdem wissen wir, dass nur eine Veränderung uns die Lust und Motivation wieder zurückbringen kann. Kurzerhand mieten wir uns in einem etwas teureren Guesthouse, in einem gemütlichen Zimmer mit Klimaanlage ein (ja manchmal sind es eben die kleinen Dinge) und schmieden Pläne. Mit jeder neuen Idee, mit jedem neuen Vorhaben steigt die Freude und so kehren wir der Stadt Granada letztendlich doch noch ein wenig zufriedener mit einem Rucksack voller Tatendrang und Motivation den Rücken.