Verschlafen wache ich auf. Es ist bereits hell draussen. Das sanfte Wiegen des Busses liess uns wohl nochmals ins Land der Träume reisen, denn es ist bereits acht Uhr morgens. Die kurvenreichen Bergstrasse inmitten des Hochlandes des Bundesstaates Chiapas bringt uns immer höher, führt uns durch den Nebel, bis schliesslich auch die Grossstadt Tuxtla Gutiérrez weit unter uns im selbigen verschwindet. Auf den letzten Metern windet sich der Bus durch die engen Gassen, bis wir schliesslich, nach einer langen 11-stündigen Busfahrt durch die Nacht, müde und steif aus dem Bus klettern. Sonnenstrahlen berühren mein Gesicht, eine angenehme Wärme umgibt mich. Wir sind angekommen in San Cristobal de las Casas, einer Kolonialstadt im wunderschönen Bundesstaat Chiapas.
Bereits der Weg zum Hostel lässt uns staunen. Die Kolonialarchitektur beeindruckt auch hier, denn noch immer haben wir uns nicht sattgesehen an den wunderschönen Kolonialbauten. Und trotzdem ist es für einmal vielmehr die etwas andere Kultur die hier gelebt wird und bereits in den ersten Minuten ins Auge sticht. Das Bergland um San Cristobal de las Casas, einst zum südlichen Nachbarn Guatemala gehörend, wird nämlich hauptsächlich von Mayas bewohnt und ist unglaublich reich an indigener Kultur und Geschichte. Die hier noch lebenden Tzoltzil und Tzatzal Völker, die als direkte Nachfahren der klassischen Maya gelten, bewahren und pflegen nach wie vor ihre Traditionen und Lebensweisen.
Bevor wir uns aber der Maya-Kultur widmen, spazieren wir gespannt, voller Vorfreude und vor allem mit einem unsagbaren Wissens- und Entdeckungshunger durch die Gassen mit den bunt bemalten Häusern. Eine kühle Brise umgibt uns in der Stadt auf rund 2100 Meter über Meer. Nach den heissen Tagen an der Pazifikküste eine willkommene Abwechslung. Die Stadt selbst liegt in einem kleinen Tal, umgeben von grünen Hügeln, Pinienwäldern und mächtigen weissen Wolken. Obwohl anfangs fast nur gutes Wetter herrscht, regnet es in den letzten zwei Tagen leider fast nur noch, die graue Wolkendecke hängt tief. Und trotzdem leuchten die kopfsteingepflasterten Gassen mit ihren bunt bemalten Häusern in den schönsten Farben. Rund um den quirligen Zocalo, dem zentralen Platz der Stadt, erstreckt sich ein dichtes Netz aus schmalen Strässchen und bunten Gässchen. Wenn wir etwas lieben, dann ist es einfach drauf loszulaufen und die faszinierende Atmosphäre voll und ganz in uns aufzunehmen.
Wir wären aber wohl kaum in einer mexikanischen Stadt, gäbe es keine Kirche. Gefühlt an jeder Ecke steigt ein eindrucksvoller Kirchturm empor. So prägt schliesslich auch die mitten im Zentrum liegende Kathedrale San Cristóbal Mártir das Stadtbild. Abends trifft sich hier die lokale Bevölkerung um gemütlich beisammenzusitzen, den Tratsch des Tages auszutauschen oder einfach um das Geschehen rund um den Platz zu beobachten.
Aber nicht nur die Kathedrale im Zentrum ist ein Besuch wert. Steigt man die vielen Treppen der Kirche Guadalupe am Rande der Stadt hoch, erwartet einem nicht nur eine hübsche kleine Kirche, viel imposanter ist der Blick über die Stadt selbst. In entgegengesetzter Richtung findet sich die Kirche Cerro San Cristóbal, welche nochmals eine andere Sicht über die Stadt bietet. Zwei gegenüberliegende Kirchen, die nebenher als perfekte Aussichtspunkte fungieren.
Man könnte wohl Tage damit verbringen jede einzelne Kirche der Stadt anzuschauen. Zugegebenermassen ergeht es uns mit Kirchen allerdings in etwas gleich wie mit Tempeln, irgendwann hat man’s halt einfach gesehen. Und trotzdem steht noch ein ganz besonderer Ausflug zu einer ganz speziellen Kirche an.
Ein Collectivo (Sammeltaxi) bringt uns ins nah gelegene Dorf San Juan Chamula. Die Einwohner von Chamula, wie das Dorf auch genannt wird, gehören dem Volk der Ttzotzil an. Viele Maya sprechen Spanisch nur als Zweitsprache, ihre Muttersprachen sind so verschieden wie die unterschiedlichen Stämme. Viel haben wir gelesen über diesen ganz speziellen Ort in den Bergen der Chiapas, freuen uns auf den Tag in diesem so fremden Ort. Kaum allerdings haben wir das Collectivo verlassen, schauen wir uns verdutzt an. Hunderte von Menschen säumen die Strassen Chamulas, fast alle in wunderschönen, traditionell bunten Kostümen gekleidet. Von allen Seiten ziehen musizierende Gruppen durchs Dorf.

In den Strassen von San Juan Chamula
Wir hatten ja sowas von keine Ahnung, freuen uns aber umso mehr, dass wir so spontan diese Feier, den Maya Karneval erleben dürfen. Und tatsächlich handelt es sich hierbei um das wichtigste traditionelle Fest der Maya, das über fünf Tage (die fünf „zusätzlichen Tage“ des Mayakalenders) gefeiert wird. Wie wir in Erfahrung bringen konnten, bildet der Karneval eine Mischung aus christlichen und heidnischen Traditionen. Die in Unordnung geratene Welt wird in symbolischer Weise wieder zurechtgerückt und ins Gleichgewicht gebracht. Schnell erkennen wir, dass es sich hierbei allerdings wohl ausschliesslich um ein Männerfest handelt, denn nicht nur die Musiker in ihren bunten Kostümen sondern auch die, welche den Umzug mit ihren Gewändern aus weissen und schwarzen Fellen begleiten, sind ausschliesslich Männer. Was es mit diesen Kostümen jedoch auf sich hat, resp. deren Bedeutung konnten wir leider nicht in Erfahrung bringen. Wir geniessen das Schauspiel trotzdem und beobachten still und leise am Rande der spannenden Festlichkeiten.
Hauptgrund unserer Reise nach Chamula allerdings ist ein anderer. Hier nämlich wollen wir der Dorfkirche San Juan Bautista einen Besuch abstatten. Ja, schon wieder eine Kirche, nur handelt es sich bei eben dieser um eine ganz spezielle. Fotografieren ist im Kircheninnern strengstens verboten, sodass wir das Geschehen ohne störende Kamera auf uns wirken lassen. Kaum haben wir den riesigen Bogen der Kirche passiert, schnappen wir fast zeitgleich nach Luft. Weihrauch schlägt uns entgegen, während hunderte kleine Kerzen am Boden im Wind flackern. Sitzbänke gibt es nicht, der Boden ist mit Tannennadeln bedeckt. Langsam und ruhig begeben wir uns in den vorderen Teil der Kirche, beobachten die Gläubigen die vor ihren Kerzen am Boden knien und mal lauter mal leiser für sich beten. An den Seiten hängen Blumen, Heiligenstatuen zieren die Wände. Über dem Hauptaltar der Kirche thront ein Abbild von Johannes dem Täufer, welcher in dieser Kirche schon fast glühend verehrt wird. Tatsächlich herrscht im Kircheninnern eine ganz spezielle Stimmung, trifft hier doch der Katholizismus noch auf uralte Traditionen. Denn auch der Schamanismus wird hier noch regelmässig ausgeübt. Ein religiöser Kult, der seinesgleichen sucht.

San Juan Bautista
Je mehr Zeit wir in dieser traditionsreichen Umgebung verbringen, je grösser wird unser Interesse für die hiesige Mayakultur. Entsprechend schnell ist das Ziel unseres nächsten Stopps gefunden. Vom bergigen Hochland führt uns unsere Reise weit hinunter in den Tieflandschungel hoch in den Norden des Bundesstaates Chiapas, nach Palenque. Diverse Horrorgeschichten von Überfällen auf Busse, Strassensperren insbesondere auf der Strecke zwischen San Cristobal und Palenque lassen uns an unserem Vorhaben doch kurzzeitig zweifeln. Doch obwohl wir diverse Polizeikontrollen, mit Militär bewachte Posten passieren, immer mal wieder anhalten um uns von uniformierten mit Maschinengewehren ausgerüsteten Männern kontrollieren lassen müssen, kommen wir letztendlich ohne Probleme spätabends im kleinen Städtchen Palenque an. Die Stadt selbst hat nicht wirklich viel zu bieten, vielmehr sind es die nahegelegenen Maya-Ruinen, die uns an diesen Ort inmitten des Dschungels geführt haben. Mit ehemals mehr als 10’000 Einwohner gehörte Palenque einst zu einer der grössten Maya-Städte der Welt. Dutzende Gebäude, Pyramiden und Tempel verteilen sich auf der Lichtung, grosse Teile sind nach wie vor tief im Dschungel von Chiapas verborgen. Der dichte Dschungel rund um die grosse Ruinenstätte bietet eine Traumkulisse. Für die entsprechende Geräuschkulisse sorgen die lauten Brüllaffen mit ihren lauten Schreien, welche mir schon fast die Haare zu Berge stehen lassen. Es ist eine spannende Entdeckungstour durch die Ruinen der ehemaligen Maya-Stadt. Fast jeder Winkel der Stadt lässt sich ganz einfach erkunden. So ergründen wir die Tempel, entdecken die gut erhaltenen Gebäude und klettern auf die hoch emporragenden Pyramiden, von wo aus man einen wunderbaren Blick über fast die gesamte Stätte sowie den Dschungel Mexikos geniessen kann.
Der Bundesstaat Chiapas hat uns nochmals eine ganz andere Seite Mexikos gezeigt und ist bislang neben Guanajuato tatsächlich unsere Lieblingsgegend dieses so facettenreichen Landes. Kein anderes Gebiet hat uns derart fasziniert wie die Berg- und Dschungelregion mit ihren indigenen Traditionen und der spannenden Kultur. Trotz einiger Umstände, kleineren Gefahren auf den Strassen ist dieser Bundesstaat allemal eine Reise wert. Denn was wir bereits jetzt sagen können, Mexiko hat soviel mehr zu bieten als die bekannte Halbinsel Yucatan, das beliebteste Touristenziel des ganzen Landes.
Hallo Irene und Dominique
Mit grosser Freude haben wir heute morgen euer Bloc angeschaut und gelesen.Es ist einfach super wie Ihr schreibt und Fotos macht.Wir bewundern euch und haben grosse Hochachtung.Wir wünschen noch viele Abenteuer und neue Entdeckungen.
Liebe Grüsse von der Heimat Mama und Köbi
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