Schweissgebadet und auch ein bisschen fluchend kämpfen wir uns immer weiter nach oben. Durch dichte Wälder, über Lavageröll und staubige Wege führt ein fünf- bis sechsstündiger Weg steil bergauf. Das Gewicht der Rucksäcke drückt auf unsere Schultern und die Beine brennen von Minute zu Minute mehr. Doch all dies ist vor allem dann nebensächlich, wenn wir die atemberaubende Kulisse um uns bestaunen, hoch schauen, unser Ziel stets vor Augen, während wir angetrieben von der ungemeinen Motivation gepaart mit den uns durchfahrenen Glücksgefühlen Meter um Meter höher steigen. Es ist ein Kraftakt, die Besteigung des sagenumwobenen Volcan Acatenango, die Belohnung dafür umso gigantischer. Bis wir diese letztendlich aber geniessen können, werden wir so richtig gefordert, physisch wie auch mental.
Denn für uns bedeutet der Beginn eines neuen Abenteuers auch immer Abschied nehmen von „Altem“, Liebgewonnenen. Die Zeit in San Pedro war eine einmalige, wunderbare Erfahrung. Und wie man sich in derart kurzer Zeit so ans Herz wachsen kann, merken wir einmal mehr beim Abschied von unserer Gastfamilie. Während ich meine Emotionen angestrengt zurückzuhalten versuche, kullern vor allem bei Rosa die Tränen beim Abschied. Ja, wir haben unsere Familie in San Pedro ins Herz geschlossen, ein temporäres Zuhause gefunden, in welchem wir uns tatsächlich wie zuhause und willkommen fühlten. Für uns bedeutet Reisen aber eben auch Weiterziehen, Liebgewonnenes hinter uns lassen und Neues entdecken um dieses vielleicht genauso lieben zu lernen. Und so packen wir erneut unsere Rucksäcke, steigen in einen Bus und ziehen weiter nach Antigua.
Wunderbar erhaltene Kolonialbauten, kopfsteingepflasterte Strassen, Ruinen, Museen und vieles mehr findet man in Antigua, der ehemaligen Hauptstadt Guatemalas. Die am besten erhaltene Stadt aus der spanischen Kolonialzeit zieht jährlich Millionen von Touristen an. Auch wir verlieren uns in den Gassen, erkunden die wunderschön hergerichteten Innenhöfe, die von aussen gar nicht zu sehen sind. Auf dem Plaza Central tummeln sich Einheimische und Touristen gleichermassen, während in traditionelle Kleidung gehüllte Frauen und Kinder Souvenirs an den Mann oder die Frau zu bringen versuchen. Die Perle Guatemalas, eine Stadt die so herausgeputzt wirkt, dass sie im ersten Moment so gar nicht ins Bild des restlichen Guatemalas passt. Die Geschichte dahinter allerdings ist interessant und die Stadt gefällt.
Und trotzdem sind es einmal mehr weniger die bevölkerten Strassen der Stadt die zum Highlight werden. Die Stadt selbst nämlich ist umgeben von diversen wunderschönen Vulkanen. Egal wo man sich in der Stadt gerade befindet, der wunderschöne, mächtig emporragende Vulkan Agua ist von überall her zu sehen. Vom immer noch aktiven Vulkan Pacaya fliessen teilweise Lavaströme ins Tal. Wer die Marshmallows bereit hat, kann diese über der Lava nach einer kurzen Wanderung rösten. Der Stadt und den dazugehörigen Vulkanen allerdings kehren wir relativ schnell wieder den Rücken. Unser Ziel liegt schliesslich ganz woanders, nämlich ganze 2437 Meter höher. Der Vulkan Acatenango ist mit seiner Höhe von rund 3976 Meter der höchste Schichtvulkan in Mittelamerika und bildet zusammen mit seinem Zwilling, dem Volcan Fuego, den Vulkankomplex La Horqueta.
Obwohl dieser Vulkan auch alleine bestiegen werden kann, wir allerdings weder über Zelt noch Schlafsack verfügen, keine Lust haben, das gesamte Equipment den Berg hochzutragen und das Leid in einer Gruppe meist nur halb so gross ist, entscheiden wir uns den Aacatenago mit den lokalen Tourguides von Gilmer Soy zu bezwingen. Alle Guides dieses Anbieters sind Einheimische und das Geld fliesst zurück in die Community. Aktuell wird im Dorf San Jose Calderas, das am Fusse des Vulkans liegt und Heimat von Gilmer dem Gründer dieses Touranbieters ist, eine neue Wasserpumpe gebaut. Fliessend Wasser, eine für uns selbstverständliche Sache, für viele Menschen in Guatemala leider noch immer nicht. Es lohnt sich also für dieses Abenteuer ein bisschen mehr Geld in die Finger zu nehmen. Die Entscheidung den Aufstieg mit den netten Guides von Gilmer zu unternehmen, erweist sich zudem schon von Beginn an als mehr als richtig. Nicht nur müssen wir die Zelte nicht selbst hochtragen, sind diese nämlich bereits fest auf dem Berg im Camp montiert, auch dürfen wir von den Kochkünsten von Gilmers Mutter profitieren, welche sämtliches Essen eigenhändig zubereitet. Wer weiss wie anstrengend dieser Aufstieg sein kann, weiss auch wie wichtig ein gutes Essen nach erfolgter Besteigung ist. So schnappen wir, kaum in San Jose Calderas angekommen unser vorbereitetes Lunchpaket, machen Gebrauch von der kostenlosen Ausleihe von schicken warmen Jacken und Mützen und hören uns die letzte Motivationsrede von Gilmer höchstpersönlich an. Mit Wanderstock ausgerüstet stehen wir schliesslich bereit, dem Aufstieg steht nichts mehr im Wege.

Ready to go!
Dass es sich bei dieser Zweitageswanderung um keinen Kindergeburtstag handelt, zeigen bereits die ersten Meter. Von gemütlichem Einlaufen kann alles andere als die Rede sein, denn von der ersten Minute an steigen wir steil bergauf. Über loses Geröll, vorbei an Ackerland geht es schnurgerade den Berg hoch. Während der Staub bereits jetzt in den Lungen brennt, rutschen wir nach jedem Schritt nach vorne wieder zwei zurück. Es ist einzig und allein der mitgebrachte Wanderstock der das Vorankommen ein wenig erleichtert.
Wir merken relativ schnell, unsere Gruppe ist physisch stark denn wir kommen schnell voran. Doch obwohl unsere Guides von der ersten Minute an ein flottes Tempo vorlegen, wird in regelmässigen Abständen eine Pause eingelegt. Ständig nach unserem Wohlbefinden erkundigend, fühlen wir uns in besten Händen. Denn nach wie vor ist, das Problem weniger der Aufstieg an und für sich, sondern vielmehr die damit verbundenen Höhenmeter die in kurzer Zeit zurückgelegt werden.
Die Luft wird dünner, die Steigung allerdings nicht weniger. So kämpfe ich mich über den Zickzack-Weg den Berg hoch, wo Dominique meist mit Nüssen, einem Snickers oder sonstigem auf mich wartet um meinen Energiehaushalt in einer guten Balance zu halten. „Solo 15 minutos mas, entonces sera mas facil“, macht uns unser Guide Hoffnung. Es ist ein ständiger Kampf mit dem Schweinehund. Nicht nur sind wir seit langer Zeit alles andere als sportlich aktiv, auch merken wir die letzten Wochen die wir meist sitzend im „Schulzimmer“ verbrachten. Tatsächlich ist die Herausforderung das stetige Vorankommen, Meter für Meter hochzusteigen und nicht aufzugeben. Es vergehen schliesslich tatsächlich keine 15 Minuten und wir erreichen eine kleine Ebene wo erstmals Mittagspause angesagt ist. Hungrig fallen wir über unsere Lunchpakete, bestehend aus Reis, Gemüse, Poulet und Brot, her. Einfach, aber genau richtig in diesem Moment.
„Vamos Vamos Chicos“, ruft plötzlich Rudi, einer der Guides, als ich mich gerade erst gemütlich eingerichtet habe. Ja oben sind wir noch lange nicht. Glücklicherweise erweist sich der letzte Teil des Aufstiegs hoch zum Basecamp aber nicht mehr als derart anstrengend. Freudig merke ich wie ich sogar wieder ein Gespräch führen kann, ohne ununterbrochen nach Luft zu schnappen. Auch die Szenerie ändert sich schlagartig. Karge, abgestorbene Bäume prägen die Kulisse.
Die letzten Meter schliesslich gleichen verglichen zum Rest des Tages tatsächlich einem Spaziergang. Während wir gemütlich durch den Wald marschieren, donnert es in kurzen Abständen bedrohlich. Obwohl wir mittlerweile von einer Nebelwand umgeben sind, handelt es sich nicht um ein heraufziehendes Gewitter, vielmehr ist es der Vulkan Fuego der sich immer lauter bemerkbar macht. Obschon im ersten Moment noch enttäuscht darüber, dass die Sicht gleich Null ist, überwiegt die Freude das Basecamp, unser Nachtlager nach weniger als 4.5 Stunden erreicht zu haben.

Basecampe auf 3600 M.ü.M.
Hat man sich schliesslich von der grössten Anstrengung erholt, spürt man die durchdringende Kälte. Auf rund 3600 Meter über Meer ist es besonders abends empflindlich kalt. Schnell wechseln wir unsere durchgeschwitzte Kleidung. Bereits das erste Mal bin ich froh um die schicke mitgebrachte Jacke von Gilmers Zuhause. Frieren müssen wir aber sowieso nicht, wärmt uns doch ein hübsches Lagerfeuer, während der Nebel immer dichter zu werden scheint und tatsächlich der eine oder andere Regentropfen vom Himmel fällt.

Lagerfeuerromantik auf dem Vulkan
Unsere beiden Guides, Rudi und Kevin geben ihr Bestes um uns das bestmögliche Erlebnis zu bieten. Obwohl der englischen Sprache nicht mächtig, kümmern sie sich liebevoll um unser Wohlbefinden und kochen ein leckeres Abendmahl, bestehend aus Pasta, Härdöpfelstock, Bohnenmus und Tostadas.

Gekocht wird über dem offenen Feuer
Gemeinsam sitzen wir schliesslich um das Lagerfeuer, während langsam die Nacht über uns hereinbricht. Die Wolken-, resp. Nebelsuppe zieht zwar schnell an uns vorbei, dennoch, ausser leichter Konturen des Vulkans Fuego und das Grollen des Berges können wir bis dahin nichts ausmachen. Schnell aber verfliegt die leichte Enttäuschung wieder, als Rudi und Kevin uns schliesslich eine heisse Schoggi und Marhsmallows reichen, welche wir allesamt freudig über dem Lagerfeuer rösten um anschliessend in die heisse Schoggi zu tunken – Lagerfeuerromantik pur.
So schnell der Nebel anfangs gekommen ist, so schnell verschwindet er in später Stunde dann auch wieder. Das erste Mal überhaupt, sehen wir auch den Grund für das bedrohliche Donnern, welches uns während des ganzen Abends jedesmal aufs Neue zusammenzucken lässt. Was wir zu sehen bekommen ist schlicht fantastisch. Glühende Lava schiesst feuerrot in die Luft, läuft langsam über den Rücken des Vulkans bis sie schliesslich nach wenigen Sekunden erkaltet. Ein einmaliges Naturspektakel. Unverkennbar toben hier Urgewalten, auf einmal fühlen wir uns ganz klein. Es ist wie das Warten auf ein Feuerwerk bis ein weiterer Ausbruch den Himmel erhellen lässt. Einmalig und spannend zugleich. Die ganze Nacht hindurch hören wir das Grollen, reissen das Zelt auf um staunend dazusitzen und diesem einmaligen Spektakel zuzusehen.
Nach einer kurzen Nacht, in welcher wir aufgrund Kälte, Höhe, harter Unterlage und innerer Aufruhr nur wenig Schlaf finden konnten, weckt uns Rudi bereits um 4 Uhr morgens wieder. Ziel ist der Krater auf knapp 4000 Meter Höhe. Weitere 300 Höhenmeter gilt es zu bezwingen. Mit Stirnlampe bewaffnet stolpern wir durch die Dunkelheit. Obwohl wir bereits wussten, dass dies die wohl härstesten 1 1/2 Stunden Aufstieg sind, ist es ein einziger Kampf. Die Unterlage gleicht dem Beginn des Aufstieges. Loses, tiefes Lavageröll gepaart mit der immer dünner werdenden Luft macht den Aufstieg zu einem einzigen Kraftakt. Ich kann kaum beschreiben welch Glücksgefühl uns widerfährt während wir oben angekommen auf das unter uns liegende Wolkenmeer blicken uns erleichert, strahlend und glücklich ansehen und schlicht froh sind, diesen Vulkan bezwungen zu haben.

Sonnenaufgang auf dem Vulkan Acatenango
Wir saugen auf, speichern die Bilder im Kopf und geniessen jede einzelne Sekunde auf dem Gipfel des Acatenango. Obschon ich mich an der uns umgebenen Kulisse mit den verschiedenen Vulkanen die aus dem Wolkenmeer hervorblicken kaum sattsehen kann, ist es trotzdem der Vulkan Fuego der fast gänzlich unsere Aufmerksamkeit erhält. Alle 15 bis 20 Minuten spuckt dieser Lava in die Luft, gefolgt von dem mittlerweile bekannten Grollen. Immer noch können wir kaum in Worte fassen was sich keine zwei Kilometer von uns entfernt abspielt, ein einmaliges Schauspiel der Natur.
Und wie so ein atemberaubender Ausbruch aussieht, seht ihr hier:
Acatenango from two-on-a-journey.com on Vimeo.
Leider bleibt nur wenig Zeit auf dem Gipfel, denn die Kälte durchdringt nach nur kurzer Zeit jede einzelne Schicht. Auch wenn wir diesen Anblick noch für Stunden geniessen könnten, wird es Zeit für den Abstieg. War das lose Lavageröll beim Aufstieg noch die reinste Qual macht es den Abstieg um ein Vielfaches einfacher. Rennend, hüpfend, rutschend geht es den Abhang hinunter. Eine durchaus spassige Angelenheit.
Bei wärmendem Sonnenschein geniessen wir die atemberaubende Aussicht, eine Aussicht, die wir beim Aufstieg aufgrund der Wolken noch nicht zu sehen bekamen.
Am Camp angekommen schliesslich wartet neben dem brennenden Lagerfeuer das wohlverdiente Frühstück auf uns. Noch einmal gilt es alle Kräfte zu sammeln bevor der zwei- bis dreistündige Abstieg auf uns wartet.
Mit deutlich leichteren Rucksäcken marschieren wir im Entenmarsch den Berg hinunter. Obwohl für mich fast mühsamer, geht der Abstieg flott voran und so erreichen wir das Tal in weniger als zwei Stunden wieder.
Müde geschafft aber umso glücklicher über das Erlebte freuen wir uns schliesslich nur noch auf eines: eine warme Dusche und etwas feines zu essen. Schon fast geplant, haben wir zurück in Antigua eine Spende genau für diesen Moment aufgehoben. In einem typisch guatemaltekischen Comedor lassen wir uns Pollo asado mit Papas und Guacamole schmecken, genau das Richtige nach zwei anstrengenden Tagen auf den Vulkanen Guatemalas.
Vielen lieben Dank Tamara für die Essensspende! 🙂
Noch einmal lassen wir den Tag und das Erlebte immer noch freudig erregt Revue passieren. Lange noch werden wir von diesem einen Erlebnis zehren. Denn wie mächtig die Natur sein kann, haben wir für einmal mit eigenen Augen zu sehen bekommen. Was für eine Erfahrung, was für ein Aufstieg, was für ein Spektakel, das der Vulkan Fuego tagtäglich aufs Neue vorführt. Für mich etwas Einmaliges, schier Unvergessliches…